Paradies und Wahnsinn

Auf Gran Canaria fallen uns Mandelblüten wie Schmetterlinge auf die Augen. Zwei Wochen fahren wie in den Bergen über die Insel, werden begleitet von Bienen und überholt von aufheulenden Motorrädern. In langsamen Bergfahrten kommen wir in Windungen wie in das innere der Gesteine und streifen herrliche Braunstafetten. Wir tragen mein mobiles Atelier über Steinstürze und kämpfen gegen stärksten Wind, der uns in seinen Böen an die Leitplanken fahren lässt. Erst nachdem wir gelernt haben seine abrupten Schübe zu nützen, können wir wieder aufsteigen. Wir sind gut aufgehoben untern den Menschen, mit denen wir in Kontakt kommen und geniessen   deren Freude am Gespräch. 




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Auch Mitte Februar ist die Einreise nach Afrika nicht möglich. So starten wir den dritten Teil des Projekts, die Fahrt von Sizilien nach Luzern mit einer Erweiterung. Wir beginnen die Fahrt in Rom. 

Die Fahrt verzögert sich. Ursulas Fahrrad fliegt nach Manila statt nach Rom. Wir warten. Ohne Wartezeit kommen wir in die Sixtinische Kapelle unter Michelangelo. Auf dem Petersplatz verteilen sich zwei Hände voll Leute und die Absperrgitter für die Basilikabesucherinnen stehen als Hürden ohne Aufgabe. Leer, leer, leer. Den Platz nehmen die Obdachlosen ein. In grösster Öffentlichkeit leben Leute am Boden. 

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Das Fahrrad ist da, wir fahren über die alte Via Appia aus Rom. Was wäre das für ein Gemurmel, was für ein Geschrei, wenn die Bodensteine sprechen könnten. So bleiben die tief in den Stein gegrabenen Fahrrinnen Assoziationskapseln. 

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Mittags spanne ich die Leinwand auf einem Platz zwischen Strasse und rostigen Absperrungen eines Fabrikgeländes auf. Ab und zu halten  Autos: „Was machst du da?“ werden Fragen mit Neugier und Interesse gestellt. Ich zeige Skizzen und spreche krumme Sätze auf Italienisch. Die im Projekt enthaltenen Spielregeln, zu einer bestimmten Zeit anzuhalten und zu malen, das Aussen wirken lassen und zu schauen wie es wieder im Bild auftaucht, funktioniert.

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Küstenstrasse nach Neapel.

Es ist halb elf Uhr morgens, auf Klappstühlen und stehend warten Frauen an der Strasse auf Kundschaft, hinter ihnen im Wäldchen sind Tücher zu Behausungen zwischen die Bäume gespannt, sie machen sich zurecht, schminken sich, richten die Kleider und warten.

Ohne Ankündigung hört die Strasse an einer Absperrung aus Abfall, Autoreifen und Kühlschränken auf, ein Fiat versucht durch die Barriere zu fahren, bleibt stecken, die Reifen drehen durch, der Fahrer steigt ruhig aus, zieht sich Handschuhe an und schaufelt sich eine Bahn durch den Müll, „das ist Italien, ein Land was alles hat, Schönheit, Reichtum, Geschichte und seht jetzt, wie es hier aussieht. Ein kleines Problem, aber symptomatisch für den Niedergang“.

An der Leitplanke stehen Dutzende von Afrikanern, warten und warten, manche schauen überrascht auf, als wir sie grüssen, Tagelöhner, hoffen. Vorbei an zusammenfallenden Fassaden, tiefschwarze Fäulnis kriecht aus Fensterhöhlen. 

Und dann Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft, Grosszügigkeit. Ursulas Gepäckträger bricht ab und während wir den Schaden untersuchen, kommt ein Schwarm neongelber Radrennfahrer um uns. Alle reden und wollen helfen. Was heisst schweissen auf italienisch? Nachdem wir uns verständigt haben, schnellen die Arme synchron in eine Richtung, „da geradeaus gibt es einen, der schweisst“

Der Schweisser grüsst uns und winkt ab, wie soll er das schweissen, in der Nähe zum Reifen. Wir überzeugen ihn, dass wir das Rad ohne weiteres schnell abmontieren können, ja schnell, denn gleich ist Mittagszeit, gut, er winkt uns in die super aufgeräumte Werkstatt, und beginnt die Dinge einzurichten. Seine Schnelligkeit entsteht dadurch, dass er keinen Griff zu viel macht, dann schweissen, schau nicht in die Flamme! und Kopf nach unten! Er kühlt die Schweissstellen mit Wasser aus einer Petflasche. Alles hält, nur eine Schraube fehlt, zwei grosse Kisten mit Schrauben schüttet er aus und unsere Suche beginnt. Immer wieder übergibt er mir das Werkzeug, lacht und treibt mich an. Eine Schraube breche ich im Gewinde ab, er überlegt und findet mit Schleifmaschine und einer Schweisskonstruktion eine Lösung, im Hintergrund sieben Vögel in Käfigen mit einem Weihnachtsbaum. Dann begleitet er uns nach draussen, schaut, dass das Rad auch wieder hineinpasst. Er will nichts von einer Bezahlung wissen, eine Stunde hat er uns geschenkt.

Neapel.

Mehrspuriger Geschäftsverkehr, die Auffahrt ins Zentrum säumen blaue Haufen aufgeplatzter Abfallsäcke, Matratzen und Schrott. Vorbei und die untergehende Sonne im Rücken schüttet alles ins Gold. Die Strassen enger und enger, die Wäsche hängt über uns, die Motorroller fahren in wilden Schwenkern an uns vorbei, die Leute stehen auf den Strassen, Läden quellen in den Verkehr, die Strassenbahn hupt heiser und immer wird uns weitergeholfen, wir müssen uns nur die genauen Anweisungen merken können, hoch über uns hören wir Gespräche auf Balkonen und wir entspannen uns, trotz des unglaublichen Verkehrs, bei dieser Einfahrt ins pralle Leben.

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Achim Schroeteler