I felt in love with Henri Matisse

Salut nos amies de la France, de la Belgique y hola a nuestres querides amigues de España! Gracias por su ayuda et merci beaucoup pour votre hospitalité. Hoi liebe Freund*innen aus der Schweiz und aus Deutschland. Wir danken Euch für eure warme Anteilnahme an unserer Reise.


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Heute, am 24. Januar, wollten wir eigentlich schon lange in Marokko sein. Alles lief wie geschmiert, doch dann unternahm unsere Tour unvermutete Bögen und Gegenfahrten. Jetzt sind wir in Las Palmas auf Gran Canaria und suchen den Weg nach Marokko in einigen Wochen über Fuerteventura. Wir verbringen viele Stunden in den Museen in Las Palmas und starten morgen bei warmen Temperaturen unsere Fahrten um und über die Insel.  



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Die letzte Etappe in Europa ist die Strecke von Málaga nach Tarifa. Es gibt zwei Routen, eine geht durch die Hügel, die andere direkt an der Küste entlang. Wir wollen es einfach haben und wählen die Route an der Küste. Wir wissen nicht, dass es nur zwei Verbindungsstrecken zwischen Golfplätzen, Ressorts und Dörfern gibt. Beide sehen wie Autobahnen aus. Mit dem Fahrrad auf der Autobahn: Soweit sind wir noch nicht. (Später dann schon!). Daher fahren wir neben der Fahrbahn auf der anderen Seite der Leitplanke, quetschen uns an Laternenmasten und Mauervorsprüngen vorbei, durchbrechen kräftige Büsche und nehmen dem Hänger mehrmals die Räder ab, um ihn schmaler zu machen. Am Abend sind wir fix und fertig und haben gerade mal 20 Kilometer geschafft.




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Nach Gibraltar steigen plötzlich Hügelketten aus dem Meer auf. Am Fuss der Hügel helle Häuser und Rauch. Hei, wir haben es geschafft, nach 3250 km sind wir beinahe in Afrika!. Wir kommen nach Tarifa und sehen die Ticketschalter für die Fähren Tarifa - Tanger. Alle sind sie geschlossen und bestätigen das, was uns schon mehrere gesagt haben: Marokko hat auch seine Grenzen geschlossen. Die Enttäuschung ist grösser, als wir gedacht haben.

Und jetzt? Neu planen!



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Wir entscheiden uns, in Richtung Lissabon zu fahren, treffen aber zufällig auf ein winziges Haus an der Atlantikküste und entschliessen, dort über Weihnachten zu bleiben und zu arbeiten.


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Ein gestrandetes Boot, am Bug zerrissen und aufgebrochen, liegt am Strand. In der Nähe sind Strandbuggys und Kitesurfer. Denen schaue ich zu, bevor ich das Boot sehe, von dem ich schon gehört habe. Seit November 2018 liegt es da, 18 Menschen wurden damals Tod an Land gespült. Derart aufgeladen frage ich mich vor dem Boot stehend, warum ich das jetzt zeichne. Voyeurismus oder was ist das?

Wirklichkeit. Zeichnen bedeutet verbinden. Wenn ich mich nicht mit dem Boot verbinden will, dann kann ich bei der Route, die ich geplant habe, gleich umkehren.



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Kurz vor unserer Weiterfahrt nach Lissabon nimmt die Fahrt eine jähe Wendung. Ursulas Mutter liegt im Sterben. Wir fliegen für mehrere Tage in die Schweiz zurück. Auch der Tod gehört  zu unserer Reise. Wir sind dankbar, dass wir zusammen mit der ganzen Familie in Ruhe von einer grossartigen Frau Abschied nehmen konnten. 




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Im Januar sind wir zurück in los caños de meca in Spanien. Alles hat jetzt einen anderen Klang.


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In einem marokkanischen Laden in Vejer lernen wir den Besitzer kennen, der uns Adressen, Telefonnummern und Tipps gibt, wie wir doch noch in Marokko einreisen könnten. Gute Hoffnung. Dann verlängert Marokko seinen Lockdown bis Ende Februar. Wir brechen unsere Versuche, bei der marokkanischen Botschaft eine Durchreiseerlaubnis zu bekommen, ab. Also: Weiterfahren!

Hinter Cádiz überqueren wir mit einer Fähre den Guadalquivir, sehen seine Mündung in den Atlantik, so wie sie Columbus und Magellan vor 500 Jahren gesehen haben könnten. Über Cádiz fahren wir nach Huelva, oft direkt auf Sandstrand. Neben uns das Meer., die Vögel fliegen knapp über der Brandung, überholen uns leicht und fischen dann im Sturzflug. Bei Ebbe ist der Sand hart und wir schaffen die 30 km fast. Aber dann treibt uns das steigende Wasser in den höher gelegenen weichen Sand und wir stecken fest. Wir übernachten hinter Dünen in einer eiskalten Sandkule im grandiosem Sternenraum.


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Wir sprechen über Malerei und Literatur am Rand einer stark befahrenen Strassse. „I felt in love with Henri Matisse“, sagt der Mann. Für ihn ist Kunst Notwendigkeit. „Sie gibt mir Sinn und Nahrung, jetzt noch mehr, wo alles futsch ist: die Arbeit, das Reisen, das Zusammensein mit Freud*innen und dazu die ewige Distanziererei und das ständige Zuhausesein. Die Kunst ist für mich der Kitt, der uns und alles zusammenhält, ohne sie fällt alles auseinander. Ich als Mensch und wir als Gesellschaft. Und Frage: Womit sonst können wir uns jetzigen beschäftigen?“ Eine weitere Begegnung, die uns berührt und beglückt.



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Ich fange die Umgebung mit Aquarellzeichnungen ein. Ohne gerade Unterlage verlaufen die Farben, manche Seite kleben aufeinander. Nicht erkennbar malen, die Farbflächen registrieren und- viel weiss lassen. Unschärfe ist freudiges Ereignis und Zumutung. Malen und nichts sagen wollen, eine Bedeutung stellt sich ein oder nicht.

Dann, wie Jalousien, fallen Lockdowns herunter. Jetzt auch in Portugal und besonders in Lissabon. Wir entwerfen verschiedene Ideen für unsere Weiterreise. Dann zelten wir am Meer und eine Fähre fährt vor unserer Nase vorbei - klar, wir nehmen den Seeweg! Und kurz vor Huelva, bei dem Schild Ferry und 70 km vor der portugiesischen Grenze biegen wir kurzerhand ab und schiffen uns ein nach Las Palmas auf Gran Canaria.



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Auf der Insel (der Glückseeligen, wie sie genannt wurde) sinken die Schultern, es ist warm und sogar die Museen sind auf. Unser Vorurteil, dass die Kanarischen Inseln ausschliesslich Touristeninseln sind, erweist sich als völlig falsch. Es ist krass, wie existenziell für uns die geistige Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur geworden ist. Sie hilft gegen den Anblick der Maskengesichter und gegen das latente Knurren über unser konformes Mittun. Vor unserem Zimmer ist ein grosser belebter Platz mitten in der Altstadt. Um 22.00 Uhr ist er leer. Ein ganzes Volk muss um zehn Uhr abends ins Bett. Geistige Beschäftigung ist das einzige Gegenmittel. 


Ich sehe das Werk von Angel Sánchez, einem Gran Canarischen Typographen, Zeichner und Maler. In einem Video höre ich seine Meinungen über Identitätsfindungen der Inselbevölkerung, die nach ihm Schwierigkeiten hat sich als Mischvolk zu sehen. Sein Haus ist Treffpunkt für die Kunstschaffenden der Insel. Im Austausch gilt es eine Inselidentität zu entwickeln.

Während ich an seinen über 100 Werken entlanggehe, taucht hartnäckig die Frage auf, in welcher Weise ich mit Malerei Stellung beziehe. Für mich ist klar: Der Grund zu malen muss mehr sein als zu sagen, ich mal‘ halt meine Welt. 


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Achim Schroeteler