l'Essence du Bonheur

Marrakesch – M’Zonaa – irgendwo Tankstelle – Bouaboute – Steinmauer vor Smimou – Plage de Taguent – Imesouane – Agadir – Sidi Ouassay – Aglou Plage – Mirleft – Sidi Ifni – irgendwo vor Plage blanche – Lehmhaus Wüste – Tan-Tan – El Ouatia – irgendwo Wüste – Akhfemir – irgendwo Wüste – Tarfaya – Al-Ayun – irgendwo Wüste – Boujdour – Oase – Wüste meerwärts – Wüste südwärts – Wüste irgendwo – Dakhla – Weit blicken meine flatternden Gedanken – Im Wind kann nichts anhaften – Auch die Sardinen haben ihre Büchse längst verlassen

Tarfaya, Marokko

Eine Frau zieht vorüber, wendet ihr faltiges Gesicht uns zu, zieht weiter. Ein gebogener Eisenstab, den sie mit sich zieht, erzeugt einen leisen Ton, ein Bordun der Reibung Eisen - Teer, den wir schon lange vor ihrem Erscheinen als etwas Unbestimmtes zwischen Lastwagen und Menschenrufen hören. Auch als sie verschwunden ist in ihrer langsamen Gangart, hören wir die stetige Tonlinie, die sie zieht und die zu allem dazugehört. Keiner wendet die Augen nach ihr.

1 Katze pisst immer an unser Zelt.

1 Hund bellt immer irgendwo.

Das Meer ist weiterhin gross.

 

Vom Materialvorkommen aus gesehen, wenn Materie sich anzieht, gleiches Material zusammenfinden will, dann sind die leeren Petflaschen in unserer Hand dem Plastik in der Ebene zugehöriger als dem Müllcontainer, zu dem der Gang einen Hauch von Absurdität hat.

Küstenlinie Sidi Ifni – Tan-Tan

Obwohl der Wind von der Seite kommt, beginnt die Fahrt leicht. Wir meiden die Nationalstrasse und fahren auf einer schmalen Teerstrasse. In einem Laden kaufen wir Wasser und ein Marokkaner, wir nennen ihn den Fuchs, lacht über unsere paar Worte arabisch und fragt uns, ob wir das machen, um die Marokkaner zu amüsieren. Er lobt die Strasse und warnt uns, dass es bis Tan-Tan in 130 km Entfernung keinen Laden mehr gibt. Jetzt lachen wir und denken, dass er das sagt, um den Verkauf anzukurbeln. Mit dem guten Zustand der Strasse sollte er nicht Recht behalten, mit der Vorhersage, dass kein Laden mehr kommt, hatte er leider Recht.

Wir kommen in sehr hügeliges Gelände und ab Nachmittag in dichten Salznebel, der auf der Haut und bald auf dem Zelt und den Schlafsäcken klebt. Wir kochen in guter Stimmung, ich male im Vorzelt, Ursula schreibt und das zahlreiche krabbeln von kleinen Spinnen über die Skizzenbücher stört mich nicht. Bald kommt die Stadt, denken wir unternehmungsfroh am nächsten Morgen. Wir kommen bis Mittag gut voran, dann hört die Strasse auf, die Brücke über den Fluss ist abgebrochen. Dromedare weiden in grosser Zahl und verschieben sich in der Landschaft als dunkelbraune Flächen. Wir gratulieren uns zur Begegnung mit dem Wasser. Grün und Wassergeräusche haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Wir tragen das Gepäck durch den Fluss, währenddessen fliegen Kraniche auf und eine Fisch springt hoch aus dem Wasser auf das Ufer. Was ist denn mit dem los! denken wir. Schon schnellt er sich wieder ins Wasser zurück.

Die Furt durchquert ein Landrover, ein Fahrer mit zwei marokkanischen Frauen. Vom Fahrer erfahren wir, dass ab jetzt 50 km Sandpiste auf uns warten. Und der Wind! Stimmt, den Wind, den dürfen wir nicht vergessen, der kommt jetzt von vorne. Wir haben uns voll verschätzt. Es wird Abend und wir haben noch nicht einmal die Teerstrasse erreicht und zum ersten Mal geht uns das Wasser aus.

Ein Hirte sitzt abseits der Strasse. Um ihn herum Ziegen und Schafe. Den müssen wir jetzt nach Wasser fragen und überhaupt auch nach unserem Standort. Ein Netz gibt es nicht. Der Hirte sagt bald, dass wir bei ihm schlafen können. Er beschreibt uns den Weg zu seinem Haus in 3km Entfernung. Wir machen uns auf den Weg und merken, wie schwer die Orientierung in der Wüstenebene ist. Es gibt Wegspuren, dann gibt es sie nicht mehr. Wir kommen zu seinem Haus. Seine Frau mit ihren drei Töchtern wissen nichts von seiner Einladung. Wir erzählen von ihrem Mann und seinem Angebot. Erst, als wir sie überzeugt haben, dass wir von ihrem Mann kommen, lassen sie uns eintreten. Jetzt werden wir in ruhiger Freundlichkeit hereingebeten, es gibt Tee, Linsen und Schafsmilch. Wir schreiben und zeichnen mit den Töchtern, benennen die Familienmitglieder. Die Mutter bereitet Tee in einer ausdrucksvollen Teezeremonie, einen Kranz von kleinen Gläsern vor sich. Die älteste Tochter sprüht vor Neugier. Sie kann ein paar Worte Französisch und das Gespräch zaubert sich irgendwie weiter. In der Dunkelheit kommt der Hirte. Die jüngste Tochter bringt ihm Wasser für die Waschung von Händen und Füssen. Er legt sich bequem aufs Kissen, weist uns an, das Gleiche zu tun und dann sind wir fasziniert von seiner Gesprächslust und seinem langen Nachdenken über Wortbedeutungen.

Wir schlafen im Essraum, sehen durch die Türöffnung in den ummauerten Hof, darüber Sterne. Dann kommt ein Vorhang vor die Türe und der Hirte legt sich mit uns in den Raum. Wir schlafen in unserer Kleidung, irgendwo in der Ebene. Am Morgen begleitet uns der Hirte auf dem Esel. Die Gestensprache des Hirten ist sinnlich. Plötzlich krümmt er sich klein und hinkt ein paar Schritte mit einem gespielten Stock in der Hand. Er stellt seine Mutter dar, die ihn genährt hat. Er zieht an seiner Brust und zerrt sie an seinen saugenden Mund. Die Gesten des Hirten erinnern uns in ihrer Direktheit an die Sprache der commedia dell‘ arte.

Wir sehen auf ein buntes Kreiselrad der Erscheinungen: den Vogel Ramatu, die Seele der Toten; den Rauch der Feuerstellen in den Städten; die Männer mit dem Lachen ohne Zähne in der Nähe der Phosphatminen; das Herumspringen jugendlicher Männer in der Brandung, während jugendliche Frauen in Kleidern am Meeresrand stehen; Verstümmelung der Genitalien und Mästung junger Frauen; Hierarchien: Araber:innen, Berber:innen, Afrikaner:innen; den Vater, der singend mit seinem Sohn auf dem Fahrrad fährt; den Dank ans Herz für etwas Trinkgeld; den Sand, der sich bewegt; die Muezzine, die mit einer Stimme Allah preisen und im Gesamtklang von sieben Moscheen hymnisch werden; den Vogel der Wüste, am Boden ein Wunder der Tarnung, abhebend mit schwarzweiss leuchtenden Schwanzfedern ruft er in langen Tönen, die in Halbtonschritten ansteigen; 20% Sklavenbestand in Mauretanien; nie nähren die Ressourcen eines Landes die Bevölkerung; Ausnützung fehlender Umweltbestimmungen oder wo sonst könnten Hunderte von europäischen off-roader ihre Rallyes austragen; und kein Marokkaner der Fussball Nationalmannschaft spielt in Marokko, alle in Europa.

Achim Schroeteler