Le monde est vaste

Dakar – Toubab Dialow – École des Sables – Empire des Enfants Hotel – ca.12 km vor Fatick – Foundiougne horizont bleu – Toubakouta – Banjul – Dialoulou – Santhiaba – Kafountine – Baïla – Ziguinchor – Elikine – Cap Skirring – Diembering – letzte Zeltnacht am Fluss – Ziguinchor – Dakar - Wenn alle NGO-Leute, die Hilfe nach Afrika bringen, in der kleinen Kneipe mitten in der Wüste einen Kaffee trinken würden, wäre der Besitzer ein gemachter Mann

... hier drohte nicht der Tod, sondern das Leben einen an einer Strassenecke zu pflücken und zu überströmen, bis einem der Atem stockte ... (Beschreibung Dakars von Mohamed Mbougar Sarr, Die geheimste Erinnerung der Menschen)

Am 4. Januar erreichen wir Dakar. Während ich das schreibe wird viel weiter südlich im Senegal, Mitte Februar, ein Schwein zum Verladen in einen Sack gesteckt und schreiend auf eine Piroge gebracht.

Das Ziel Dakar begleitete das Fahren durch Wüste und Gebirge, durch Wind und unter Sternen, schimmerte durch die Begegnungen mit Nomaden, sass bei Festessen mit uns auf Teppichen, vergass sich nicht zwischen Dromedaren, Pelikanen und Affen, verlor den Charakter eines Witzes, der auf die Frage nach unserem Ziel auf den ersten Kilometern in der Schweiz und in Italien Lachen auslöste. Wir sind angekommen und das magnetische Ziehen des Ziels löst sich auf. Wir staunen, dass eine Idee, über der Landkarte entworfen, nun Wirklichkeit geworden ist.

Der wochenlange Aufenthalt unter Sand zeigt mir eine Fülle von Braunstufen, die Macht des Lichts, das alles wegbrennt oder mit dem die Dünen ihre messerscharfe Dreidimensionalität bekommen. Die Farbkraft einer violetten Türe, eines hellgrün/hellblauen Fensters in weissbraunem Sand oder die plötzlich auftauchende Grünstelle einer Oase. Die Aufnahme des täglichen Windes führt zu einer Malgeste, die den Blattrand ignoriert. Dann die Explosion der Farben und Muster im Senegal: Orange, Schwarz, Safrangelb, Grün, Blau, ein Feuerwerk in Bewegung. Das Leuchten der Gesichter und der Stoffe. In Dakar kaufe ich Neonfarben.

Die Landschaften sind weit, meine Zeichnung wird zur Miniatur. Malen im Anblick kilometerlanger Horizonte führt zur abrupten Formatverkleinerung. In den Städten, in denen alles eng und aufgefüllt ist, kommt es mir unpassend vor, dort meinen Rahmen aufzustellen, ein Hindernis zu werden oder im Farbtumult mit einer weissen Leinwand zu beginnen.

 In Dakar bleiben wir für 10 Tage und finden ein neues Ziel: Eine Kreisfahrt durch die Casamance, dem Süden Senegals.

Es ist Sonntagmorgen. Wir fahren durch ein Dorf und hören plötzlich mehrstimmigen Gesang. Ein Lied,  das in dieser Umgebung völlig unerwartet auftaucht und uns durch seine Vertrautheit heftig berührt. Wir folgen dem Gesang und kommen an ein Gebäude, vor dem und in dem Leute dicht gedrängt stehen. Die Farbenpracht der das Mauerwerk überströmenden Bougainvillea und die bunten Stoffe der Frauen stoppen uns sofort. Wir stehen vor einer von Menschen überquellenden Dorfkirche, in der sich rhythmischer Sprechgesang mit dem schon von weitem gehörten Choral abwechseln. Wir werden bemerkt und begrüsst, Menschen knien im Strassensand und wir sehen hingebungsvolles Beten. Neben uns klettern Kinder in festlichen Seidenkleidern auf den Motorrädern. Nichts an dieser Kirche ist grau oder schluchzend, es herrscht Feststimmung und für Momente verschwinden unsere Zweifel an einem Glaubensbekenntnis und wir sind ergriffen von der Kraft des gemeinsamen Gesangs und der Macht des Gebets.

Das Fahren wirbelt Vergangenes in immer neue Bilder ...unter den Sternen singt ein Mann ein Kinderlied und bei ihm selbst wächst Erinnerung und erschafft einen Jungen, der andächtig, unschuldig und zart die Melodie hervorbringt und ihr zugleich zuhört…

École des Sables

Sieben Trommler:innen wirbeln und genügen der Choreografin nicht. Schneller, seht ihr denn nicht, was wir tanzen? Tanzstudierende aus aller Welt lernen den senegalesischen Tanz Sabar. Die Trommmelschläge knallen gegen das Trommelfell. Die Schläge verleihen den Bewegungen Präzision und Schärfe. Die Tanzenden biegen die Beine, beugen sich zum Boden, fallen ihm entgegen, werden zu bewegter Erde, bevor die Körper emporschnellen, die Arme durch die Trommelschläge nach oben gepeitscht werden, die Beine ebenso. Die Tanzenden springen vom Boden weg, schleudern die Gliedmassen in exakter Choreografie in den Himmel, breiten die Arme aus, bewegen sich wie abhebende Vögel. Wer die leuchtenden Augen der Tanzenden sieht, die senkrecht in der Luft stehenden Haare, glaubt sich einer Offenbarung an Leichtigkeit und Freude gegenüber. Draussen am Saaleingang stehen Frauen vom Putzteam – auch sie tanzen!

Durchfahrt und Traum

Unter Baumriesen, deren mächtige Stämme sich nach unten hin weit auffächern, ändert sich die Sonne in ein grünes Dämmerlicht. Ein Bus an der Strasse entlässt Fahrgäste, Säcke werden auf Schultern geladen, Menschen laufen über die Strasse. Feuerrauch hüllt uns ein und es ist so, als beführen wir einen Ort einer anderen Zeit, der aufgrund seiner Magie mit den Vergangenen lebt. Frauen kommen aus dem braungrünen Dorf Hintergrund und nähern sich tanzend dem Bus. Trommler mit Spitzhüten stehen am Strassenrand und begleiten die Tänzerinnen mit lauten Zurufen. Wir sehen die Augen der Frauen, die uns einladen anzuhalten. Wir könnten absteigen und mittanzen, die Zauberkraft des Raums aufsaugen. Hier wäre es möglich, in das Dorfleben einzutauchen, einen Menschen zu finden, der uns einführte in das System der Familien und uns ihnen bekannt machte, wir sprächen mit den Bettenbauern am Strassenrand, in der Hocke mit den Motorradflickern, mit den Frauen an den Mörsern mit dem Reis. Einen Teil Erde bekämen wir geschenkt. Die rote Erde ist reich und fruchtbar und gibt drei Ernten. Willst du oder willst du nicht, werden wir gefragt. Hierbleiben und etwas erschaffen oder weiterziehen?

Die hellblaue Polaroidkamera ist in ihrer Klobigkeit auffallend und in Nachbarschaft der Handys ist sie eine Lachnummer. Heute beim Frühstück zeigt eine junge Frau auf die Kamera und fragt, was das denn sei. Eine Fotokamera. Sofort sollen wir Fotos von der Familie machen.  Das Schnurren der Bilder aus der Kamera und das langsame Entstehen des Fotos begeistert alle. Später, nach der Verabschiedung, sehen wir die Frau, ihr Foto vor sich haltend, durch das Zimmer tanzen.

Wir sitzen am Ende der Teerstrasse in Kafoutine, beratschlagen, welche der angezeigten Campements wir nehmen sollen. Unser Bargeld wird knapp und es gibt keine Bank in diesem Städtchen. Kafountine ist der grösste fischverarbeitende Hafen im Senegal. Auf Trocknungsgestellen Tonnen von ausgelegten Fischen. Unter ihnen brennt das Höllenfeuer und der Hafen ist eingehüllt in Rauch. Die uns vertraute Dichte des afrikanischen Lebens breitet sich vor uns aus.

Eine Frau kommt auf uns zu und wir merken schnell, dass wir Deutsch miteinander sprechen können. Wieder ist es einer der vielen Momente, in denen uns Hilfe zufällt. Schnell hat sie uns zu der Unterkunft geraten, in der sie wohnt, direkt am Meer. Zusätzlich leiht sie uns Geld, bis wir wieder welches beziehen können. Im Laufe des Abends wissen wir, dass wir mit einer Konstrukteurin für Fischtrocknungsöfen zusammensitzen. Sie entwirft unter anderem Öfen, die arbeitstechnisch leicht bedienbar und sehr viel sparsamer im Holzverbrauch sind als die herkömmlichen. Sie bietet uns an, ihr beim Bau einer Ofenlinie behilflich zu sein. So werden wir Mitarbeiter:in in einem wunderbaren senegalesischen Bauteam. Die Frauen, die mit den Öfen arbeiten, werden zu Rate gezogen, nach ihren Bedürfnissen und Wünschen werden die Öfen ausgerichtet. Es wird hart gearbeitet. Am Abend sinken wir, nach geselligem Zusammensein und Schwimmen im Meer, zufrieden ins Bett.  Wir verlassen die Baustelle nach fünf Tagen. Reich durch die Umarmungen der Bauleute. Im März werden die Frauen die neuen Öfen einweihen können.

Das langsame Einfahren in die Mangroven ist ein sich immer wieder verändernder grüner Horizont. Buchten entstehen hinter Buchten, Fahrwege weiten sich plötzlich zu weiten Seen oder werden zu schmalen Rinnen. Unter auffliegenden Pelikanen ist es ein Vordringen in Landschaften hinter Landschaften, als wären wir Entdecker:innen eines unendlichen Inneren.

Non à l’excision!

Wir erleben eine Ode an die Befreiung der Frauen von unterdrückerischen Praktiken wie Beschneidung, Zwangsheirat und Schulabbruch junger Mädchen. Im Süden Senegals packt uns ein Freilichttheater mit Gesang und Tanz. Je suis INNA, sagen die vier Schauspielerinnen, et je dis non à l’excision! Das Stück soll jungen Frauen Mut machen, sich ihrer Fähigkeiten und Stärken bewusst zu werden und die tradierte Ordnung abzulehnen. Die kraftvolle Stimme gegen diese Machenschaften beglückt unsere Schritte durchs nächtliche Ziguinchor.

Unsere Reise neigt sich dem Ende zu. Wir danken den Menschen, den Landschaften und allen Herausforderungen Westafrikas. Sie ermöglichten uns ein tiefgreifendes Erfahren der Welt.

Achim Schroeteler